Atelier Café

Atelier Café, Sara Contini-FrankWer das Atelier Café betritt, kommt auf jeden Fall mit einem breiteren Lächeln wieder heraus. Der Besitzer, Rahim Shirmahd, bietet mehr als ehrlichen Kaffee und preiswerte Bewerbungsfotos. Mit seiner Ausstrahlung vermittelt er spürbares Glück und offenes Vertrauen. Er hat tausend Geschichten zu erzählen und eine Meinung zu allem, ohne sie jemandem aufzudrücken.

Ein Besuch bei ihm läuft nie gleich ab: Mal kommt man mit einem ehemaligen Bäcker ins Gespräch, der gerade im Atelier seine E-Mails abrufen möchte, mal trifft man auf eine Journalistin aus der Nachbarschaft, die gerade einen ausgedienten Stuhl mitgebracht hat, mal darf man beim Müsli-Machen assistieren und kriegt das Rezept für Zuhause gleich mit.

Hier das Interview mit dem frohgemuten Besitzer vom Atelier Café.

Seit wann gibt’s das Atelier Café?
Das Atelier Café erst seit Mitte 2013. Das Atelier Fotoethik habe ich allerdings schon seit Februar 2011. Ich habe es Fotoethik genannt, um mich bewusst von Gewalt und Rassismus abzugrenzen.

Woher kommst du? Was hast du davor gemacht?
Ich bin in Iran geboren und als Bergnomade aufgewachsen. Ohne Erziehung, ganz im positiven Sinne, ohne Vorurteile, frei! Mit zehn kam ich nach Susa zu meiner Tante, um zur Schule zu gehen. Manchmal war ich mit meinem Onkel in einer Seniorenbegegnungsstätte, dort lernte ich einen Rentner kennen, der mir etwas beibringen wollte, was meine Berufsperspektive beeinflussen würde: Und in der Tat, in nur wenigen Minuten zeigte er mir, wie man Schwarz-Weiß-Bilder koloriert. Ich machte mein Abitur in Iran, aber mit der Revolution von 1979 kam eine hohe Jugendarbeitslosigkeit.
So zog ich alleine los, ich reiste mit dem Schiff als Gemüselieferant in den Golfstaaten. Ich war ganz im Seefahrerrausch, fand aber keine Arbeit unter den Bedingungen, die ich mir vorstellte. Ich wollte zurück in meine Heimat, aber durch den Iran-Irak-Krieg konnte man weder rein noch raus.
Ich lernte Leute kennen, die in Deutschland studiert hatten, so kam ich am Heiligabend 1980 am Frankfurter Flughafen an. Ich wohnte zunächst bei deutsch-afghanischen Freunden, dann zog ich weiter nach Karlsruhe. Ursprünglich wollte ich VWL studieren – langweilige Geschichte … Aber ich kam mit der Pressefotografie in Kontakt und drehte unter anderem den Dokumentarfilm „18 Minuten Zivilcourage“. So war ich ganze 22 Jahre nicht im Iran.
Als ich endlich zurück durfte, dachte ich, ich könnte dort leben, die Veränderungen gefielen mir. Ich gründete eine Firma mit Mühe und Not, aber die Leute waren neidisch. Ich wurde sabotiert, weil ich eigentlich „vom Lande“ kam. Damals verstand ich, dass Deutschland meine neue Heimat ist. Hier kann ich mich besser für Demokratie einsetzen. Hier habe ich begriffen, wie man lebt. Aber dadurch, dass ich über vier Jahre mehrmals für lange Perioden im Iran gewesen war, hatte ich viele Kontakte in Deutschland verloren.
Ich zog wieder nach Tübingen, aber die Fixkosten waren zu hoch, so kam ich nach Berlin, das war meine zweite Emigration. Ich wollte eigentlich im Mai 2008 bei Jürgen, einem ehemaligen Ostberliner Künstler, zur Untermiete wohnen,, aber als ich zu ihm kam, fand ich ihn tot in seiner Wohnung. Ich habe noch viel gesucht. Wurde auch mal von einem Deutschen betrogen … Aber die Deutschen haben mir so viel gegeben, das war nur ein Klacks im Vergleich dazu! Schließlich vermittelte mir der Hausmeister eine Wohnung in Jürgens Haus. Wunderschöne Wohnung in Wedding am Nauener Platz. Ich konnte den Leuten guten Morgen sagen, niemand hat reagiert, so habe ich immer den Hunden Guten Tag gesagt! 

Was sind deine ersten Moabit-Erinnerungen?
Bodenständigkeit. Die Leute haben einfach ihre Sachen gemacht. Keine Extreme.

Weshalb steht das Atelier Café hier in Moabit?
Moabit fand ich gut, hat mir gefallen, nicht so voller Kneipen, yuppisiert und modisch affektiert wie Kreuzberg, nicht so voll mit Hundescheiße und proletarisch wie Wedding. Irgendwann habe ich das Atelier hier gefunden, die Vermieterin ist sehr nett, mit einem Schwaben verheiratet. Und ich kann gleich hier im selben Haus wohnen.

Was hast du für Kundschaft?
Leute wie du und ich. Ich bin unkonventionell, quatsche mit den Leuten. Ich will das Sympathische aus ihnen herauskitzeln. Manche sind irritiert, wenn ich mit Ihnen lache, und gehen dann wieder. Aber alles, was ich mache, ist lustig. Je schräger die Typen, umso mehr wollen sie gar nicht mehr weggehen! Es kommen viele junge Leute aus der Umgebung, entweder, weil sie vorbei laufen, oder weil sie es empfohlen bekommen.

Was ist die Motivation deiner Kunden, hierherzukommen?
Bewerbungsbilder sind sehr gefragt. Dafür kam sogar eine Frau extra aus Hannover. Sie hatte mich in einer Dokumentation vom rbb gesehen. Und viele kommen einfach zum Kaffeetrinken her. Wenn jemand Geld für eine Hilfsorganisation sammelt, kriegt er kein Geld, wird aber auf einen Kaffee eingeladen. Der Postbote auch, wenn er Pakete für die Nachbarn abgibt.

Was wird am meisten bestellt?
Kaffee. Und Ingwertee mit frisch geschnittenen Ingwerscheiben – manche Kunden essen sie sogar! Wenn du morgen wieder kommst, gibt es normannischen Apfelkuchen, frisch gebacken … geht immer gleich weg, alles Bio, alles gesund, mit Vollkornmehl. Schau, ich mache gerade Bircher Müsli [Rahim holt eine Schüssel Obst aus dem Kühlschrank und bietet mir eine Kostprobe an]. Ich habe die Vollkornflocken eine halbe Stunde im Kühlschrank ziehen lassen, mit Milch, Obst [ich kann Banane, Apfel und Birne erkennen, alles ganz sorgfältig geschnitten], gemahlenen Nüssen und einem bisschen Zitronensaft! Dann kommen Zimt, Vanillesirup und -zucker dazu, man kann aber auch beides weglassen. Honig gehört rein, dieser hier ist ein Berliner Honig! Dann Sahne, wenn man welche hat. Und ein paar Sauerkirschen. [köstlich!]

Was ist Kurioseste, was hier je passiert ist?
Eigentlich, wie ich zum Café kam. Früher habe ich keinen Kaffee hier verkauft, allerdings kamen oft Freunde und Nachbarn vorbei, einfach um mit mir Kaffee zu trinken. Als vor einem Jahr in mein Atelier eingebrochen wurde, war alles weg, meine komplette Ausrüstung! Ich konnte nicht einmal Fotos für 5 € schießen. So hatte ich die Idee, bei eBay Kleinanzeigen nach einer gebrauchten Kaffeemaschine zu suchen. Ein Spanier aus Neukölln konnte diese tolle Maschine – italienisch, von Vibieffe, 60 Liter! – schon lange nicht loswerden, weil sein Angebot voller Rechtschreibfehler war. So hat er mir einen guten Preis gemacht. Und seitdem hat sich das mit dem Kaffee zu einer sehr guten Nummer entwickelt!

Moabit war und Moabit wird …
Moabit bleibt Moabit. Für starke Veränderung gibt es hier keinen Grund. Ab und zu wird ein Laden zugemacht, dann kommt ein anderer rein. Moabit ist im Kommen ist eine Parole von Immobilienverwaltern, die Häuser teurer verkaufen wollen. Mehr ist nicht drin.

Moabit braucht …
… ruhige, normale, bodenständige normale Läden wir z.B. Ingrids Suppenladen und Freddys Waschsalon [beides in der Gotzkowskystraße zu finden]. Aber kein fragwürdiges Gaunertum.